← Zurück zur Übersicht 
Loonies Sprung in die weiße Pracht
Loonies Sprung in die weiße Pracht
0:00 / 0:00
Als Loonie am Morgen des zweiten Dezembers erwachte, blinzelte sie verwirrt. Das Zimmer war viel heller als sonst. Kein graues Dämmerlicht kroch durch die Ritzen der Vorhänge, sondern ein strahlendes, fast blendendes Weiß. Die kleine Spitzhündin sprang mit einem Satz aus ihrem Körbchen und trippelte zum bodentiefen Fenster, an dem sie gestern noch den tanzenden Flocken zugeschaut hatte. Was sie nun sah, ließ sie vor Staunen leise wuffen: Die Welt war verschwunden. Zumindest die Welt, die sie kannte. Der Rasen, der Gartenweg und sogar die kleine Mauer zum Nachbarhaus waren unter einer dicken, weichen Decke aus glitzerndem Schnee begraben.
„Na, hast du das Winterwunderland schon entdeckt?“, hörte sie Annas verschlafene Stimme hinter sich. Tobi gähnte herzhaft und streckte sich. „Das sieht nach Arbeit aus, wir müssen Schnee schippen. Aber zuerst...“ Er zwinkerte Loonie zu. „...gibt es Frühstück für den Kalender!“ Loonie verstand sofort. Ihre Rute begann wild zu wedeln, als sie den beiden ins Wohnzimmer folgte. Dort hing die Girlande am Kamin, und die rote Säckchenreihe sah verheißungsvoll aus. Tobi hob Loonie kurz hoch, damit sie an dem Beutelchen mit der aufgestickten „2“ schnuppern konnte. Es roch nach Gummi und ein bisschen nach Vanille. Anna löste das Band und kippte den Inhalt in ihre Hand. Heraus kullerte ein kleiner, knallroter Gummiball und zwei Tütchen mit heißer Schokolade für die Menschen.
„Ein Schneeball für unseren Schneehund!“, lachte Tobi. Loonie schnappte sich den Ball sofort, doch Anna nahm ihn ihr sanft wieder ab. „Den nehmen wir mit nach draußen, kleine Maus. Sonst rollt er nur unter das Sofa.“ Die Enttäuschung währte nur kurz, denn nun begann das große Anziehen. Es raschelte und knisterte, als Tobi in seine dicke Skihose stieg und Anna sich einen riesigen Wollschal um den Hals wickelte. Loonie hüpfte ungeduldig zwischen ihren Beinen hin und her. Sie brauchte keine Jacke; ihr goldenes Fell war im Winter so dicht und flauschig, dass sie aussah wie ein kleiner Löwe. Als Tobi endlich die Terrassentür öffnete, strömte ihnen kalte, klare Luft entgegen, die wunderbar frisch roch.
Loonie machte den ersten Schritt und versank sofort bis zum Bauch im Pulverschnee. Verdutzt blieb sie stehen. Das Gefühl war neu: Es war kalt, nass und kitzelte am Bauch. Tobi und Anna lachten laut auf. „Komm schon, trau dich!“, rief Anna und stapfte mit ihren schweren Stiefeln voran. Loonie schüttelte sich kurz und machte dann einen mutigen Sprung. Huch! Der Schnee stob wie Puderzucker um ihre Ohren. Plötzlich packte sie die Lebensfreude. Sie raste los, pflügte mit ihrer spitzen Nase durch die weiße Pracht und hinterließ eine wilde Zickzack-Spur im unberührten Weiß.
Tobi holte den neuen roten Ball aus der Tasche. „Achtung, Loonie!“, rief er und warf das Spielzeug in hohem Bogen quer durch den Garten. Der rote Punkt landete gut sichtbar auf der weißen Fläche. Loonie flitzte hinterher, ihre Pfoten wirbelten kleine Schneewolken auf. Sie schnappte den Ball, warf ihn selbst noch einmal hoch und fing ihn wieder auf. Tobi und Anna bewarfen sich gegenseitig mit ein wenig Schnee und kugelten sich fast vor Lachen, als Loonie versuchte, eine Schneeflocke zu fangen, die auf ihrer schwarzen Nasenspitze gelandet war.
Nach einer halben Stunde waren Tobis Wangen rot und Annas Wimpern nass vom Tauwasser. „Brr, jetzt wird es Zeit für die heiße Schokolade aus dem Kalender“, entschied Anna und rieb sich die Hände. Loonie war zwar noch voller Energie, aber an ihren Pfoten hatten sich kleine Eisklümpchen gebildet. Gemeinsam stapften sie zurück ins warme Haus. Im Flur rubbelte Tobi die kleine Hündin mit einem extra weichen Handtuch trocken, bis ihr Fell in alle Richtungen abstand und sie aussah wie eine explodierte Wolke. Loonie leckte ihm dankbar über die Hand. Es war herrlich, draußen im Abenteuerland zu toben, aber fast noch schöner war es, jetzt wieder hier im Warmen bei ihrem Rudel zu sein. Während Anna in der Küche Wasser aufsetzte, kuschelte sich Loonie auf ihren Platz. Was Anna wohl mit der großen Kiste voller Tannenzweige vorhatte, die sie gerade vom Dachboden holte?