← Zurück zur Übersicht
Ein duftender Wald im Wohnzimmer

Ein duftender Wald im Wohnzimmer

Ein duftender Wald im Wohnzimmer
0:00 / 0:00
Als Loonie am Morgen des dritten Dezembers ihre schwarze Nase aus dem Körbchen steckte, schnupperte sie aufgeregt. Etwas war anders als sonst. Es roch nicht mehr nur nach dem vertrauten Kaffee, den Tobi sich gerade in der Küche zubereitete, und auch nicht nach dem kalten Schnee, der draußen vor den Fenstern in der Morgensonne glitzerte. Nein, es roch wild, grün und herrlich würzig – so wie der Wald, den Loonie von ihren Spaziergängen kannte. Neugierig tappte sie mit ihren weichen Pfoten ins Wohnzimmer. Der rote Gummiball, mit dem sie gestern so ausgelassen im Schnee getobt hatte, lag unbeachtet neben dem Sofa, denn Loonies Aufmerksamkeit galt nun ganz dem Boden. Dort, auf ausgebreiteten Zeitungen, lag ein riesiger Berg aus grünen Zweigen. Es war der Inhalt der geheimnisvollen Kiste, die Anna gestern Abend noch vom Dachboden geholt hatte. Tobi kam mit zwei dampfenden Tassen herein und lächelte, als er die verwunderte Hündin sah. „Guten Morgen, kleine Entdeckerin“, begrüßte er sie sanft und kraulte sie hinter den flauschigen Ohren. „Heute holen wir uns ein Stück Weihnachtsstimmung ins Haus.“ Anna saß bereits im Schneidersitz auf dem Boden und sortierte die Zweige. „Aber zuerst“, sagte sie und deutete auf den Kamin, „müssen wir wissen, was der dritte Dezember für uns bereithält.“ Das Ritual war Loonie mittlerweile bestens vertraut. Sobald Anna das Säckchen mit der aufgestickten „3“ vom Band löste, setzte sich die Spitzhündin brav hin und legte den Kopf schief. Anna öffnete den Stoffbeutel und zog eine Rolle goldenen Draht sowie einen länglichen, festen Kauknochen hervor. „Arbeitsmaterial für uns und Beschäftigung für den Hund“, stellte Tobi fest und lachte. Loonie nahm ihren Kauknochen glücklich entgegen, trug ihn aber nicht sofort weg. Viel spannender war das, was ihre Menschen da auf dem Boden trieben. Anna nahm einen Strohkranz zur Hand und begann, die duftenden Tannenzweige mit dem goldenen Draht festzubinden. Tobi reichte ihr immer wieder kleine Büschel an. Loonie trippelte um die beiden herum. Sie steckte ihre Nase tief in das Zweiggewirr. Huch! Das piekste ja! Niesend schüttelte sie den Kopf, was Tobi und Anna zum Kichern brachte. „Vorsicht, Loonie, das sind Tannennadeln, kein weiches Gras“, warnte Anna liebevoll. Doch Loonie ließ sich nicht abschrecken. Sie entdeckte einen kleinen Zweig, der vom Haufen gerollt war, und beschloss, dass dies ihr Beitrag zur Dekoration sei. Stolz packte sie das Zweiglein und trug es wedelnd durch das Wohnzimmer. „Hey, das brauchen wir noch!“, rief Tobi gespielt empört und robbte auf Knien hinter ihr her. Loonie verstand das Spiel sofort. Sie ließ den Zweig fallen, machte einen Satz nach vorne, drehte sich um und ging in die Vorderkörper-Tiefstellung, den Hintern frech in die Höhe gestreckt. Ihre Augen blitzten vor Schalk. Tobi schaffte es schließlich, den Zweig gegen kurzes Kraulen am Bauch „einzutauschen“. Nachdem sich die Aufregung gelegt hatte, begnügte sich Loonie damit, ihren Kauknochen genüsslich zwischen den Pfoten zu bearbeiten, während das rhythmische Rascheln der Zweige und das leise Knacken des Drahtes eine beruhigende Melodie bildeten. Stunde um Stunde verging, und der grüne Berg auf den Zeitungen schrumpfte, während der Kranz immer prachtvoller wurde. Harziger Duft erfüllte den ganzen Raum und vermischte sich mit der Wärme der Heizung. Zum Schluss steckte Anna vier dicke, rote Kerzen auf den fertigen Adventskranz und platzierte ihn feierlich auf dem Wohnzimmertisch. „Er ist wunderschön geworden“, flüsterte sie und lehnte sich an Tobi. Auch Loonie reckte sich und legte ihre Pfoten auf die Tischkante, um das grüne Wunderwerk zu begutachten. Es sah fast so aus, als würde sie nicken. „Jetzt fehlt nur noch eines für die perfekte Adventsstimmung“, murmelte Anna und rieb sich die klebrigen Harzfinger. Sie warf einen vielsagenden Blick in Richtung Küche, wo die Vorratsdosen standen. „Mehl, Zucker und Nüsse... was meinst du, Tobi?“ Tobi grinste und Loonies Ohren zuckten. Obwohl sie das Wort „Plätzchen“ noch nicht kannte, verriet ihr der freudige Tonfall ihrer Menschen, dass das nächste Abenteuer nicht lange auf sich warten lassen würde. Doch was genau Anna da plante, das blieb vorerst noch ein süßes Geheimnis in der gemütlichen Abendstille.